Freitag, 17. November 2017 | 10.00 – 18.00 Uhr
August Bebel-Institut
Müllerstr. 162, 13353 Berlin

Kick off-Workshop Genozid im Schulunterricht in Deutschland am Beispiel des Osmanischen Genozids

Das 20. Jahrhundert gilt als Jahrhundert der Genozide. Der einzigen völkerrechtlich verbindlichen Definition von Genozid – das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ der Vereinten Nationen (1948) – liegen paradigmatisch die beiden Genozide des Ersten und Zweiten Weltkriegs zugrunde: der Genozid an über drei Millionen indigenen Christen im osmanisch beherrschten Kleinasien und Mesopotamien sowie der Vernichtung der europäischen Juden. Sie bildeten für den Initiator und Hauptautor der UN-Konvention, Raphael Lemkin, die aktuellen Fallbeispiele; der Genozid an den Armeniern des Osmanischen Reiches bildete für Lemkin ein Beispiel eines „religiösen Genozids“. Benjamin Whitaker, der 1985 im Auftrag des Unterausschusses zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten der UN-Menschenrechtskommission eine Studie zur „Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords“ erstellte, nannte damals als weitere Beispiele für Völkermord „den ukrainischen Pogrom an Juden 1919, die Tutsi-Massaker an Hutus in Burundi 1965 und 1972, die paraguyanischen Massaker der Aché-Indianer vor 1974, die Massaker der Roten Khmer in Kambodscha 1975 bis 1978 sowie die aktuellen iranischen Tötungen der Bahai“. Erste aktuellere Beispiele stellen die genozidalen Tötungen von etwa 100.000 bosnischen und kroatischen Zivilisten durch Serben (1992), die Abschlachtung von etwa 800.000 Tutsi und moderaten Hutu in Rwanda (1994) und die Tötung von 300.000 Darfuris durch Todesschwadrone des sudanischen Präsidenten Omar al-Baschir (2003) dar. Seit 2014 verübt der „Islamische Staat“ im Irak Völkermord an der ethno-religiösen Minderheit der Yazidis (Jasiden).

In der derzeitigen schulischen Unterrichtung in Deutschland wird im Regelfall die Vernichtung der europäischen Juden (Holocaust, Schoah) thematisiert, was zu der Vorstellung führen muss, dass dieser Völkermord ein singuläres Ereignis darstellt. Gleichzeitig gibt es Einzelinitiativen weniger Bundesländer zum Thema Völkermord im 20. Jahrhundert, wie z.B.“ in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, wo seit 2005 bzw. 2015 Handreichungen für eine optionale Unterrichtung des Genozids an den Armeniern (1915/6) im Einsatz sind. Das Kultusministerium in Niedersachsen hat 2012 eine Tagung zum Thema Völkermord als Unterrichtsthema durchgeführt. Dieser Zustand zeigt den gemeinsamen Bedarf und verlangt nach Änderung im Sinne einer komparativen, auf aussagekräftige bzw. typische Fallbeispiele gestützten Unterrichtung. Der Bezug dieser Beispiele zu Deutschland, seiner Geschichte und seiner zunehmend pluralen Gesellschaft wäre dabei zu berücksichtigen:

Historische Verantwortung: Deutschland war im 20. Jahrhundert in zwei Fällen haupt- bzw. alleinverantwortlich für Genozid: als Kolonialmacht in Namibia (1904-1908) sowie im Zweiten Weltkrieg für die Vernichtung der europäischen Juden. Darüber hinaus war es im Ersten Weltkrieg als wichtigster Militärverbündeter des Osmanischen Reiches umfassend informierter Mitwisser und Nutznießer armenischer Zwangsarbeit. Auch wenn zur genauen Be-stimmung der deutschen Mitverantwortung noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, lässt sich die weitgehend duldende Hinnahme der Massentötungen und Deportationen von Armeniern und anderen christlichen Ethnien während des Ersten Weltkriegs zweifelsfrei feststellen. Der Deutsche Bundestag hat sich 2005 in seiner ersten Resolution 2 explizit zur Mitverantwortung Deutschlands an den „Vertreibungen und Massakern“ der osmanischen Armenier „und anderer Christen“ bekannt. In seiner zweiten Resolution vom 2. Juni 2016 stellte der deutsche Gesetzgeber mit Blick auf die bildungspolitischen Implikationen seiner Anerkennung fest: „Heute kommt schulischer, universitärer und politischer Bildung in Deutschland die Aufgabe zu, die Aufarbeitung der Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Teil der Aufarbeitung der Geschichte ethnischer Konflikte im 20. Jahrhundert in den Lehrplänen und materialien aufzugreifen und nachfolgenden Generationen zu vermitteln. Dabei kommt insbesondere den Bundesländern eine wichtige Rolle zu.“ 3 Für eine in diesem Sinn komparativ angelegte Schulunterrichtung über Völkermord folgt daraus, dass besonders die Beispiele Namibia, Osmanisches Reich und Schoah Berücksichtigung finden sollten.

Genozid-Unterrichtung in der postmigrantischen Gesellschaft: Zuwanderer bringen ihre eigene Geschichts- und Gewalterfahrungen, Deutungen von Geschichte und Erinnerungskulturen mit. Bleibt im Herkunftsland bzw. in seiner Diaspora Geschichte unaufgearbeitet oder wird, im Fall von Völkermord, historische Verantwortungsübernahme abgelehnt, entstehen daraus konfliktträchtige Geschichtsbilder und sogar unhinterfragte negative Rollenvorbilder. Hier muss der deutsche Schulunterricht in Geschichte, Ethik und Staatsbürgerkunde Orientierungshilfe anbieten.

Es bleibt zu klären, in welcher Weise diese historisch-ethische Orientierung am besten erfolgt. Die vorhandenen Rahmenrichtlinien liefern bereits in einigen Bundesländern Ansätze zur Entwicklung von zielfördernden Modulen für eine komparative Genozidunterrichtung. Der hier konzipierte Workshop wendet sich an EntscheidungsträgerInnen in Bildungsministerien und Schulbehörden, an ErzieherInnen, MultiplikatorInnen und WissenschaftlerInnen in den Bereichen Geschichtswissenschaft, Genozidforschung, Deutsch (Germanistik), Politologie und Soziologie.

Ziele des Workshops:

Vergleichende Genozidbetrachtung unter Einschluss der osmanischen Fallbeispiele (OG) in Rahmenrichtlinien der einzelnen Bundesländer fördern:

  • WissenschaftlerInnen, PädagogInnen, MultiplikatorInnen und EntscheidungsträgerInnen aus den Bereichen Bildungs-, Schul- und Erinnerungspolitik zusammenbringen und vernetzen;
  • Bestandsaufnahme der Potenziale und Herausforderungen des OG im deutschen Schulunterricht;
  • Erfahrungsaustausch über aktuelle Methoden in Deutschland in der formalen und non-formalen Bildung ermöglichen;
  • Präsentation von pädagogischen Beispielen bzw. Good Practice
  • Im Ergebnis der Konferenz Bildung eines föderalen Netzwerks aus Schulverwaltungen, Pädagogen, Landesinstituten und Wissenschaftlern
  • Erarbeitung von Unterrichtsmodulen unter Berücksichtigung der in den Rahmenrichtlinien bereits vorhandenen Ansätze

Teilnahme

Etwa 50 Personen können am Workshop kostenfrei teilnehmen.
Um rechtzeitige Anmeldung wird daher gebeten:

Quelle, Programm und weitere Informationen:
http://lernen-aus-der-geschichte.de/Teilnehmen-und-Vernetzen/content/13737
http://www.aga-online.org/event/detail.php?locale=de&eventId=161